Wir haben mit “miss”-Macher Jochen Hahn über die Aufgabenverteilungen im Marketing gesprochen. Seine “Social Media”-zentrierte Sichtweise ist sicherlich ein guter Reibepunkt für Diskussionen. Lasst also Euren Emotionen freien Lauf…
Warum sagt ihr hat Social Media nichts mit Marketing zu tun? Es geht doch um Kommunikation, es ist ein Kommunikationskanal. Wer sollte in Unternehmen denn dann dafür verantwortlich sein?
Idealerweise der „Head of Social Media“. Eine kompetente Person, die dafür sorgt, dass Social Media integrativer Bestandteil der gesamten Unternehmensstrategie und -kultur wird. Im Zielbild sollten alle Mitarbeiter eines Unternehmens das Thema Social Media verstehen und in gewisser Weise authentische Botschafter ihres Unternehmens, der Marke und deren Produkte in sozialen Netzwerken sein. Jeder soll Social Media denken! Tut man das, dann ist man automatisch userzentriert unterwegs, richtet sich also an den Bedürfnissen seiner Zielgruppe aus. So bringt man auch am schnellsten einen innovativen Change ins Unternehmen und kann ständig und realtime überprüfen, ob die eigenen Produkte und Botschaften überhaupt attraktiv genug für Menschen sind.
Man muss wissen, wer seine Zielgruppe ist, sagt ihr. Was würdest du einer Marke bzw. einem Markenverantwortlichen raten, wenn sie – mit der Zeit – bemerken, dass die Positionierung, die Botschaften für die Zielgruppe nicht mit deren Engagement zusammenpasst.
Dann besteht dringender Handlungsbedarf. In den meisten Fällen handelt es sich bei solchen Entwicklungen um eine Missinterpretation was Social Media eigentlich ist, bzw. wofür es eingesetzt werden kann. Viele Unternehmen agieren markenzentriert, pappen also ihre klassischen Werbebotschaften und -sujets eins zu eins auf Facebook und Instagram und werfen diesen Unfug auch noch einen Haufen Kampagnengeld hinterher – womöglich sogar um neue Fans zuzukaufen. Eine derartige Strategie scheitert und kostet viel Geld. Bei Social Media geht es – wie der Name schon sagt – um soziale Interaktion, also der direkten Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen bestimmter Zielgruppen. Das „Sender-Empfänger-Prinzip“, das alle im klassischen Marketing gelernt haben, funktioniert dabei nicht. Unternehmen müssen lernen einen Konnex zwischen Userbedürfnissen und ihrem Unternehmen zu finden. Was von meiner Marke und meinen Produkten, macht in welchem Lebensumfeld für Menschen Sinn? Wenn man diese Frage beantwortet hat, dann geht es nur noch um die richtige Verpackung der Inhalte die man publizieren will.
Vielen Unternehmen fällt es schwer genügend Botschaften = Content laufend zu produzieren. Hast du Tipps, wie man es sich leichter machen kann, wenn Content nicht das Kernbusiness ist?
Wer Social Media als Teil der Unternehmenskultur versteht, darf sich nicht vor Arbeit scheuen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass in gemeinsamen Meetings ein Agendapunkt IMMER Social Media lautet, in dem alle Beteiligten brainstormen, wie man User auf ihren Smartphones glücklich machen kann. Derartige Expertise sollte man sich im Unternehmen aufbauen um den Wert zu messen. Das Match in allen Dienstleistungs- und Produktbereichen entscheidet sich jetzt und in der Zukunft auf den Smartphones der Konsumenten. Hast du Relevanz in den Social- und Messenger-Timelines der User, auch in der direkten Kommunikation untereinander, dann gewinnst du. Erreichst du das nicht, dann ist der sukzessive Verlust von Marktanteilen die Folge. Klassische Werbung kann dieses Match nicht mehr gewinnen! Die Zeiten sind endgültig vorbei.
Gibt es aus deiner Sicht einen Unterschied in der Herangehensweise zwischen einem Medium, wie der miss und einer Marke?
Nein, es ist immer das gleiche Spiel: Sei dir deiner Zielgruppe bewusst, setze dich mit ihr auseinander und lerne was diese will und für welche Reizpunkte sie (im täglichen Leben) empfänglich ist. Passe deine Inhalte diesen Learnings an und verbinde sie mit deinen Marken- und Produktbotschaften, sodass sie im Themenkontext für den User Sinn stiften.
Wenn Monika und du so offen über das Erfolgsgeheimnis der miss sprechen, warum habt ihr dann weiterhin diesen großen Vorsprung auf andere im Social Media Ranking? Ihr seid ja sogar Platz 2 im gesamten deutschsprachigen Raum, vor euch nur noch die BILD.
Diese Frage stellen wir uns tatsächlich des Öfteren. Es gibt dazu auch keine wirklich plausible Antwort, die das in einem Satz erklärt. Fakt ist, wir leben Digitalisierung und Social Media mit 100%iger Konsequenz, man könnte sogar Radikalität sagen. D.h., wir richten alle internen und externen Workflows danach aus und machen keinerlei Kompromisse. Das führt zu einer Art „Dauerdisruption“ die wir uns selbst auferlegen. Wir schützen nichts bestehendes, sondern suchen ständig neue Ideen und Ansätze um neues entstehen zu lassen und dabei arbeiten wir streng KPI basiert, analysieren also täglich Userdaten. In dieser Konsequenz scheint das niemand unserer Konkurrenten auch nur annähernd umsetzen zu wollen, da sind die Reflexe und Verteidigungslinien bzgl. des traditionellen Geschäfts zu groß. Redaktionen sind keine KPI-getriebenen Gefäße, das waren sie nie und offenbar wollen sie es nie werden. Das ist ein Zukunftsproblem. Bei der miss ist der minütliche Blick auf Engagement-Charts Normalität.